Die Pandemie zwingt die Akteure der Wirtschaftswelt – unumgänglich – zu einer Neuorientierung. Sie wird Veränderungen hervorbringen – auch in der Schweiz, auch in der Speditions- und Logistikwirtschaft. Die weitreichenden und mannigfaltigen Auswirkungen von COVID-19 können bisher erst ansatzweise erfasst werden. Während der landesweiten Lockdown-Phasen wurden ganze Lieferketten zerrissen, weltweit Häfen, der Seeverkehr und der Personenflugverkehr lahmgelegt. Die Warenströme änderten sich rasant, besonders auch aufgrund der Schliessung von Werken und der heruntergefahrenen Produktion in China. Viele Branchen haben bis heute grosse Schwierigkeiten, ihre Waren und Zulieferteile weiterhin zu beziehen.
Die Lage bleibt weiterhin angespannt. In den meisten europäischen Ländern wurden Kontrollen an den Grenzen eingeführt, was zu Staus und Verzögerungen führt. International tätige Mitarbeitende, auch LKW-Fahrer, mussten in tagelange Quarantäne, wenn sie an den heimischen Arbeitsplatz zurückkehrten. Generell konnten auswärtige Lieferanten oder Kunden nicht mehr ins Büro oder aufs Werksgelände fahren. Sie wurden teilweise wie Aussätzige behandelt.
Restaurants und Hotels hatten kaum noch Gäste und benötigten entsprechend weniger Lieferungen. Gleichzeitig wurden Supermärkte leergekauft und mussten häufiger beliefert werden. Logistik-Unternehmen mussten ständig neu planen und fast täglich auf Veränderungen reagieren. Durch die Angst vor dem Virus, geschlossene Läden, Arbeit im Homeoffice veränderte sich auch das Konsumverhalten der Menschen beträchtlich. Es wurde zunehmend online bestellt.
So gab es auch Gewinner: E-Commerce, Paketdienste, Softwareunternehmen, Hersteller von Medizintechnik und Hygienemitteln, die Gesundheitsbranche generell, Videoconferencing-Unternehmen. Auch Software-Anbieter, die Lösungen in den Bereichen digitale Fertigung, Banken und Versicherungen sowie Cybersicherheit bieten, werden mittelfristig zu den Gewinnern zählen. COVID-19 veranlasst ganze Industrien dazu, die digitale Transformation ihrer Kernaktivitäten zu beschleunigen oder spätestens jetzt einzuleiten.
Nach dem Lockdown sind die Unternehmensprozesse und die Weltwirtschaft immer noch dabei, sich langsam zu normalisieren. Durch das grösste Hilfspaket in der Geschichte des Bundes –Notkredite, Kurzarbeitsentschädigungen und Härtefallregelung – konnte bisher die Insolvenz vieler Unternehmen verhindert werden. Ob das für unsere Speditions- und Logistikbranche nachhaltig ist, wird sich erst noch zeigen müssen. Zuversicht scheint mir hier aber durchaus berechtigt zu sein.
Interessant ist deshalb die Frage nach den langfristigen Veränderungen aufgrund der Pandemie. Wie werden Logistik- und Speditionsdienstleister davon betroffen sein? Welche Lehren wurden aus dem Lockdown gezogen? Wie sollten sich Unternehmen auf ein künftiges vergleichbares Szenario einstellen?
Eine wichtige Erkenntnis scheint mir, dass sich Lieferketten zu einem überraschend grossen Teil auch über Online-Tools und aus dem Homeoffice aufrechterhalten lassen. Das Geschäft kann damit teilweise gar effizienter und flexibler abgewickelt werden. Aufgrund der positiven Erfahrung wird sich die Digitalisierung der einzelnen Prozesse und deren Transparenz zunehmend ausweiten. Vielen Firmen wurde schmerzlich bewusst, dass ihre Lieferketten nicht krisensicher sind. Sie hatten sich zu abhängig von einzelnen Zulieferern, beispielsweise aus China, gemacht. Es gilt deshalb, die Supply Chains zu diversifizieren und verschiedene Zulieferer aus unterschiedlichen Ländern und Regionen, auch mehr lokale Zulieferer und Hersteller mit ins Boot zu nehmen.
Langfristig wird die Produktion damit eher wieder lokaler und nachhaltiger, wodurch die Wertschöpfungsketten kürzer werden. Die Fehleranfälligkeit von Lieferketten sollte sich verringern. Auch die drohende Insolvenz von Herstellern und Zulieferern muss bedacht werden. Krisensicherheit ist nun weitaus wichtiger als geringe Preisvorteile. Durch diese Entwicklungen wird die Transparenz entlang der Lieferkette wichtiger werden. Hersteller und Logistiker können dann effizienter planen und mögliche Lieferengpässe frühzeitig erkennen bzw. schneller auf alternative Lieferwege ausweichen. Eine aktive Netzwerk- und Supply Chain-Planung, eine digitale Bestandesprognose und -disposition sowie eine umfassende logistische Kapazitätsplanung werden entscheidend, dass Unternehmen wieder krisensicherer werden.
Auch in der Intralogistik wird es viele Veränderungen geben. Die Produktion im Push-Modus und nach dem Kanban-Prinzip mit Just-in-time-Anlieferung von Zulieferteilen – wie z. B. in der Automobilindustrie üblich – muss vielerorts überdacht werden, da sie zu störanfällig ist. Die Auswirkungen von Lieferausfällen sind zu gross und können leicht zum Stillstand der gesamten Produktion führen. Pufferlager werden für die Krisensicherheit von Betrieben wieder interessanter. Hier könnten die Firmen vermehrt auch standortnahe Lager für strategische Produkte bei Logistikdienstleistern nutzen.
Die Corona-Krise hat schmerzlich gezeigt, wie wichtig der Cashflow für einen Betrieb ist. Er bedeutet finanzielle Handlungsfähigkeit. Sowohl Einnahmen- wie auch Kostenseite müssen sowohl qualitativ als auch zeitlich regelmässig überprüft werden und transparent sein. Einsparungspotenziale auf der Ausgabenseite müssen identifiziert werden. Zahlungsbedingungen müssen situativ und selektiv gestaltet werden. Laufende Kosten müssen im Auge behalten werden. Einstellungen und Gehaltserhöhungen
müssen unter Umständen eingefroren werden.
Die Pandemie legt die Systemrelevanz wie die Vulnerabilität der Lieferketten gleichermassen offen, was man auch positiv werten kann. Vielleicht haben sich einige Wirtschaftsakteure zu lange auf reine Produktivität, Profitabilität, geringe Kapitalbindung, Schnelligkeit etc. fokussiert. Als systemrelevante Krisenhelfer werden Spedition und Logistik als Gewinner aus der Pandemie hervorgehen, wenn die entsprechenden Lektionen von allen Beteiligten gelernt und umgesetzt werden. Krisen erweisen sich – einmal mehr – auch als Chancen.
Quelle: SPEDLOGSWISS INFO 3 – Dezember 2021